Jorge Ligüerre, Präsident European Lift Association: Konsequenzen von Brexit für die Aufzugsindustrie

Jorge Ligüerre
Jorge Ligüerre

Was bedeutet der Brexit für die europäische Aufzugsindustrie?

Jorge Ligüerre: Die Auswirkungen des Referendums in Großbritannien mit dem Ergebnis die EU zu verlassen sind immer noch unklar. Es wird wahrscheinlich Monate – wenn nicht Jahre – dauern, bevor die Bestätigung erfolgt, dass Großbritannien wirklich die EU dem Willen der Mehrheit folgen wird und, wenn so, welche Art der Handelsbeziehungen sich aus den bilateralen Verhandlungen, die geführt werden müssen, sich ergeben werden. Abgesehen von den potentiellen Auswirkungen zukünftiger Entscheidungen, ist aber schon jetzt klar, dass der leere Stuhl Großbritanniens im europäischen Entscheidungsprozess den Interessensvertretern von Politik, Wirtschaft und Handel einen erheblichen Hieb versetzen wird. Tatsächlich müssen die Interessenvertreter, seien sie nun öffentlich oder privat, neue Kanäle finden, um europäische Politik zu beeinflussen, weil diese sie weiterhin erheblich beeinflussen wird. Für die europäische Aufzugsindustrie als Ganzes besteht nicht die Erwartung, dass der Brexit als Konsequenz Schäden anrichten wird, solange Großbritannien die Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftszone, so wie Norwegen, Island oder Liechtenstein zugesprochen bekommt bzw. eine fest zugordnete Handelsbeziehung mit der EU aushandeln kann wie sie mit der Schweiz besteht. Bemerkenswert daran ist allerdings, dass all diese bilateralen Vereinbarungen nicht nur den freien Verkehr von Gütern und Dienstleistungen zwischen den Unterzeichnern vorsehen, sondern auch von Menschen. Letzteres war aber der Hauptgrund warum das Britische Volk „Gehen“ gewählt hat. Wie alle Industriesektoren, ist auch die Aufzugsindustrie empfindlich gegenüber Ungewissheit. Solange die gegenwärtige Instabilität bestehen bleibt, ist es wahrscheinlich, dass sowohl Exporte und Importe von Aufzugsystemen und -komponenten aus/nach Großbritannien von dieser Ungewissheit beeinflusst sein werden. Das gilt ebenfalls für Investitionsentscheidungen, die möglicherweise Verzögerungen erfahren werden.

Welche Position vertritt die ELA in dieser Sache?

Jorge Ligüerre: Die Statuten der European Lift Association sagen aus, dass – Zitat „ELA ist ein nicht gewinnorientierter internationaler Verband der sich wissenschaftlichen Zielen widmet, welche Bezug zu Aufzügen, Lastenaufzügen, Fahrtreppen, Fahrsteigen und ähnlichen Systemen haben und die in der Europäischen Wirtschaftszone oder in jedem anderen Mitgliedsland des Europäischen Rates hergestellt, montiert oder gewartet werden“-. Die Mitglieder der ELA sind die nationalen Verbände, die sich um Aufzüge, Fahrtreppen und Aufzugkomponenten kümmern, vertreten 23 Länder der EU und des Europäischen Rates, einschließlich der Türkei. Unter dem generellen Schirm nachhaltiger Entwicklung widmet sich der Verband als Schwerpunkt der Verbesserung der Qualität von Aufzügen und Fahrteppen, der Sicherheit von Nutzern und Wartungspersonal sowie der Zugänglichkeit.

Eine weitere Priorität ist die Weiterentwicklung von Normen und Standards zusammen mit dem CEN und der ISO. Der Wunsch gleiche Normen weltweit zu haben, wird in enger Zusammenarbeit mit den Schwesterorganisationen in Nordamerika und im asiatisch-pazifischen Raum verfolgt. Darüber hinaus zeichnet die ELA die Beiträge der Industrie zum Umweltschutz und zur Energieeinsparung auf und sammelt bestens anerkannte Statistikkennzahlen zur Industrie und zum Unfallgeschehen. Bei allen Aktivitäten der ELA behält man gleichzeitig die Erfordernisse und Besonderheiten der Hersteller von Komponenten im Auge. Unter Berücksichtigung dieser supra-nationalen Aktivitäten, ist die ELA als ein internationaler Verband nicht in der Lage, eine Meinung oder einen Kommentar zu nationalem Sachverhalten wie dem Brexit zu formulieren. Als Präsident der ELA kann ich nur bestätigen, dass, wie immer sich die Situation in der Zukunft entwickeln wird, dieses weder die Mitgliedschaft Großbritanniens in der ELA, noch die Teilnahme vieler Delegierter aus Großbritannien die in den Komitees und Arbeitsgruppen der ELA aktiv mitarbeiten, beeinflussen wird. Zusätzlich wird die Unterstützung und Hilfe für unseren britischen Mitgliedsverband ohne Änderung fortgesetzt, genauso, wie dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

Das Referendum über die Mitgliedschaft in der EU lässt Zweifel über die Publikation der neuen Aufzugnormen in Verbindung mit der neuen Ausgabe der Aufzugrichtlinie 2014/33/EU aufkommen. Wird sich dies auf den Handel zwischen der britischen Aufzugindustrie und der Aufzugindustrie der EU-Staaten auswirken?

Jorge Ligüerre: Nach Auskunft unseres britischen Mitgliedverbandes LEIA, ist es unter den gegebenen Umständen schwierig vorauszusehen, wie die britische Regierung, welche die Verantwortung für die Umsetzung der Aufzugrichtlinie 2014/33/EU in britische Gesetzgebung trägt, der Veröffentlichung jetzt einen Vorrang einräumen sollte. Daraus folgt die Erwartungshaltung, dass bestehende Regelungen in Kraft bleiben werden, zumindest kurz- oder mittelfristig. Daraus folgt auch die Empfehlung an britische Montagebetriebe und Hersteller von Produkten für die Lieferung in die EU (Aufzüge oder Sicherheitskomponenten), so fortzufahren, als ob die Richtlinie 2014/33/EU jetzt in das britische Gesetz implementiert würde. Eine ähnliche Empfehlung macht LEIA für Montagebetriebe und Hersteller von Produkten die für den ausschließlichen Verkauf in Großbritannien bestimmt sind: man solle versuchen, dass diese ebenfalls die Anforderungen der neuen Richtlinie erfüllen, als wenn die Richtlinie in britisches Recht überführt sein würde. Dagegen fordern die Notifizierten Stellen Großbritanniens allerdings Konformitätserklärungen mit Bezug auf die Aufzugregelungen von 1997. Im Allgemeinen bleibt die Tatsache bestehen, dass Produkte, die europäischen Richtlinien entsprechen, so wie die Aufzugrichtlinie und die Maschinenrichtlinie, weiterhin diesen Richtlinien entsprechen müssen sofern sie innerhalb der Europäischen Wirtschaftszone (EEA) auf den Markt gebracht werden. Man erwartet, dass Großbritannien sich für den Verbleib auf dem CE-Level entscheiden und Mittel und Wege dafür finden wird. Wir bereits weiter oben erwähnt, könnte dies über eine Mitgliedschaft in der EEA geschehen oder durch eine Vereinbarung zur gegenseitigen Anerkennung zwischen EU und Großbritannien. Eins Status Quo ist das wahrscheinlichste Ergebnis für die unmittelbare vorhersehbare Zukunft und deshalb wird keine größere Auswirkung auf den Handel erwartet.

Auf längere Sicht wird es jedoch wichtig sein, wie Großbritannien mit der Weiterentwicklung der Gesetzgebung in der EU umgeht, also mit der Aufzugsrichtlinie, sofern der Brexit bestätigt wird. Tatsächlich werden in diesem Fall keine Vertreter Großbritanniens mehr in den Arbeitsgruppen für Aufzüge, die als Schalldeckel der Mitgliedstaaten und anderer Interessensvertreter gegenüber der EU-Kommission dienen, mitwirken. Großbritannien wird dann nicht mehr aktiv an der Gestaltung der EU-Politik mitwirken, wie es noch heute der Fall ist. Auf längere Zeit gesehen, könnte dies zu einem Unterscheid in der Gesetzgebung zwischen Großbritannien und der EU führen – mit entweder strengeren oder weniger strengen Anforderungen – und damit neue Herausforderungen nicht nur für Exporteure oder Importeure, sondern auch für Notifizierte Stellen und akkreditierte Testlabors mit sich bringen würde.

Offensichtlich ist dies das schlimmste Szenario! Lassen sie mich daher mit einen optimistischen Anmerkung enden: Wir alle zusammen bei der ELA, ich glaube auch die Mehrheit der europäischen Marktteilnehmer aus Industrie, Handel und Dienstleistung sind davon überzeugt, dass gesunder Menschenverstand vorherrschen wird und dass die Unterhändler der EU und Großbritanniens die Weisheit und die Vision haben werden, die vielen Vorteile einer Zugehörigkeit zu einem vereinten und offenen Markt zu erhalten, gepaart mit der Stärke, auf globalem Niveau wettbewerbsfähig zu sein

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